ZUR PROSTITUTION GEZWUNGEN?
Wie ist es um die Glaubwürdigkeit der Fachpresse bestellt?
Von Klaus-Peter Nicolay


 
10.11.2018
 ► Für gedruckte Kommunikation sind die Zeiten härter geworden. Auch an Fachzeitschriften geht dies nicht spurlos vorbei. Unternehmen schließen sich zusammen, werden übernommen oder müssen aufgeben. Fach-magazine spüren diese Entwicklung bei den Anzeigen: Seit 2009 beträgt das Minus 30 Prozent und mehr. Aber was können Verlage tun? Neue Erlösquellen erschließen, da sich die Lücke mit Online-Werbung nicht schließen lässt. Beliebt sind Kongresse, Seminare, Awards oder die Variante ›Native Content‹. Die Spielwiese ist groß und jeder Verlag muss selber wissen, was er mit seinem redaktionellen Gewissen vereinbaren kann. Dabei gibt es aber auch Grenzen! 

Über Jahre habe ich immer brav und fleißig meine Steuern bezahlt. Aber seit das mit dem Umsatz nicht mehr so läuft, fällt es immer schwerer, selbst kleiner gewordene Steuerlasten zu tilgen – auch dem Fiskus brechen die Einnahmen weg. »Macht doch nichts«, sagt das Finanzamt, »wir haben da eine Idee. Wir übernehmen den Job Ihres Steuerberaters und machen Ihre Buchhaltung noch obendrein.« Für einen Tagessatz von X Euro, fachkompetent und neutral, versteht sich, wird mir angeboten. Ob ich das glauben würde? Eher nein, ich wäre mehr als skeptisch. Na gut, es ist ja auch erfunden. Denn erstens ist das für eine staatliche Behörde nicht denkbar und zweitens würden nicht nur die Innungen der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer auf die Barrikaden gehen. Was aber geschieht, wenn ähnliches im Bereich der Fachpresse stattfindet? Rätselraten. Denn was jetzt folgt, ist alles andere als frei erfunden.

Frontalangriff auf die Profis

Da glaubt ein durch Anzeigenschwund gebeutelter Fachverlag: »Wenn die Werbebudgets schon nicht mehr wachsen, müssen wir eben an die PR-Budgets ran.« Denkt er aber nicht nur, sondern geht seine Klientel mit Angeboten für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit offensiv an: Dienstleistungen wie das Erstellen von Unternehmensportraits und Broschüren, das Durchführen von Umfragen und Events, das Gestalten und Schalten von Anzeigen und einiges mehr wird gleich noch mit oben drauf gepackt – mit dem Hinweis: fachkompetent und neutral.Den Frontalangriff auf die etablierten PR- und Werbeagenturen, die dem erwähnten Verlag bisher Informationen und via Anzeigen auch reichlich Werbegelder lieferten, startete der Verlag schon 2012. Doch jetzt setzt dieser Verlag beziehungsweise sein Magazin ›Deutscher Drucker‹ noch einen drauf und bietet für Marketingverantwortliche ein Tagesseminar mit dem Titel ›Die 100 wichtigsten Kommunikationskanäle der Druckindustrie‹ an. Der ›Deutscher Drucker‹ nimmt sich dabei heraus, die Relevanz von Werbekanälen, Fachzeitschriften und Kommunikationsagenturen etc. zu beurteilen. Ein Schelm wer denkt, dass die Kommunikationskanäle des ›Deutscher Drucker‹ dort die Pole Position einnehmen. Wie die Schwaben so treffend sagen würden, hat das Ganze einfach ein ›Geschmäckle‹.

Eine Frage der Ehre

Nein, mehr noch: Diesem Verlag ist jegliche Fähigkeit zur neutralen Berichterstattung abzusprechen. Die massive Vermischung eigener Interessen mit denen der Industrie ist Cash-Fachjournalismus, der nur als Prostitution bezeichnet werden kann. Das Schlimme nur: Das Verhalten dieses Verlags wirft die Frage auf, wie es um die Seriösität und Glaubwürdigkeit der Fachpresse bestellt ist. Wenn der selbst ernannte Marktführer seinen bisher immer hoch gehaltenen journalistischen Ethos an der Garderobe abgibt, nur um Umsatz zu generieren, wirft dies auch einen Schatten auf alle Fachmagazine, die nach wie vor seriös ihrem journalistischen Auftrag nachgehen. Dass Artikel für lukrative Honorare seitenweise nach dem Geschmack von Industriekunden geschrieben werden und das Ganze auch noch als Fachjournalismus deklariert wird, ist eine Lüge, die sich schlussendlich als Akt der Verzweiflung entpuppt. Das klassische Geschäftsmodell Fachzeitschrift neigt sich offenbar seinem Ende. Trotzdem wird niemand zur Prostitution gezwungen!


 

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